"Wir schenken Zeit" - ein Interview mit Lerncoachin Fränzi Gullo
- Lucy Gmelch
- 29. Juni
- 5 Min. Lesezeit
An der Unico-Schule stehen die Bedürfnisse und Potenziale unserer Schüler*innen im Zentrum. Um sie noch gezielter in ihrer persönlichen und schulischen Entwicklung zu begleiten, haben wir letzten Sommer ein neues Gefäss eingeführt: das Schülercoaching. Entstanden ist dieses Angebot aus dem Wunsch, jungen Menschen mehr Raum für Selbstreflexion, Zielsetzung und individuelle Unterstützung zu geben. Die Idee des Schülercoachings begleitete uns schon lange – wir wollten dieses unterstützende Element unbedingt in unseren Schulalltag integrieren. Lange Zeit fehlten jedoch die personellen Ressourcen für die Umsetzung.
Nun ist es uns gelungen, in einer ersten Phase einen kreativen und engagierten Lösungsansatz zu realisieren: Interessierte Eltern, die über die nötigen pädagogischen oder beratenden Kompetenzen verfügen, bringen sich ins Schülercoaching ein. In einem offenen, lernenden Prozess wird dieses neue Angebot gemeinsam weiterentwickelt. Durch Ausprobieren, regelmässigen Austausch und die Bündelung von Erfahrungen entsteht Schritt für Schritt eine tragfähige Struktur, die unseren Schüler*innen auf ihrem individuellen Weg wertvolle Impulse geben kann.
Um Euch einen Einblick zu geben in das Schülercoaching haben wir mit Fränzi gesprochen, die sich seit Sommer 2024 in der Unico als Lerncoachin engagiert. Neben dieser Aufgabe kümmert sich Fränzi schon seit mehreren Jahren um die Organisation des gemeinsamen Grossputzes an der Unico, die Unico-Wäsche und ist aktuell ausserdem als Entsandte des Supportkreises im Koordinationskreis aktiv.

Hallo Fränzi! Wer bist Du, was machst Du, wofür kannst Du Dich leidenschaftlich begeistern?
Ich bin Fränzi, 46 Jahre alt, Mama von zwei Kindern, die aktuell beide in die Unico gehen. Ich bin selbst Tagesschulleiterin an einer Volksschule und überzeugt vom selbstbestimmten Lernen. Ich sehe, wie die Freude bei den Kindern im Laufe der Schulzeit oft schwindet: Im Kindergarten strahlen die Augen noch, doch mit zunehmendem Alter wird das Lernen manchmal schwerer. Besonders ab der 5./6. Klasse an der Volksschule verlieren die Kinder oft die Freude am Lernen, der Übergang in die Oberstufe bringt viel Druck mit sich, und es wird schwierig, sie zu begleiten. Deshalb schätze ich die Chance als Lerncoachin, die Kinder an der Unico in diesem Alter zu begleiten – sei es, dass sie gehört werden, gesehen werden oder ihre Bedürfnisse im Blick zu haben. Es bereitet mir grosse Freude, mit den Kindern Beziehung aufzubauen und ihnen Zeit zu schenken. Obwohl die Treffen nur alle zwei Wochen sind, ist die ungeteilte Aufmerksamkeit für das Kind wertvoll und schön.
Was ist der Rahmen für die Schülercoachings?
Die Vorbereitung der Schülercoachings haben wir bereits im letzten Schuljahr gestartet und wir Lerncoaches haben gemeinsam mit dem Schulalltag den Ablauf gestaltet und eine Kiste mit Spielen, Gefühlsbildern und Fragekärtli vorbereitet. Gestartet sind wir dann nach den Sommerferien. Das Coaching wird für die Kinder des 2. Zyklus angeboten und findet alle zwei Wochen für eine halbe Stunde statt. Untereinander tauschen wir Coaches uns an Sitzungen oder auf der Kommunikationsplattform der Unico aus, um z.B. Ideen zu teilen. Bisher gab es keine Kinder, die nicht teilnehmen wollten; falls doch, wäre ein Wechsel möglich.
Was können die Kinder durch das Coaching gewinnen?
Ich denke vor allem Selbstreflexion. Ich helfe ihnen, gezielt zu reflektieren: Was ist in den letzten zwei Wochen passiert? Ziel ist, dass die Kinder herausfinden: Wer bin ich? Was möchte ich? Was gefällt mir? In welche Richtung tendiere ich? Nicht nur fürs Lernen, sondern auch für die nächsten Schritte – sei es ein Projekt, ein Praktikum oder private Vorhaben. Zum Beispiel hat ein Kind die Idee, ins Altersheim zu gehen, ein anderes kommt alle zwei Wochen in die Tagesschule, um dort den Kindergartenkindern Spiele anzubieten.
Wie tauschst Du Dich mit den Lernbegleiter*innen aus dem Schulalltag aus?
Ich bin im engen Kontakt mit dem Schulalltag, wenn Kinder mit Ideen zu mir kommen oder Unterstützung brauchen. Manchmal sprechen auch die Lernbegleiter*innen mich an, wenn sie bei einem Kind noch Fragen haben, weil sie im Alltag einfach nicht die Kapazität haben für die Einzelgespräche. Das kann bedeuten, dass sie mich bitten, im Coaching z.B. bei einem Kind zu beobachten, wie gut es schon liest, ohne es vor den anderen blosszustellen oder vermehrt Zeit zu nehmen, um schulische Inhalte zu reflektieren. Das entlastet den Schulalltag und gibt den Kindern die Möglichkeit, 1:1- Unterstützung zu bekommen, die im regulären Schultag oft nicht möglich ist.
Deine Methoden – spielerisch und reflexiv?
Genau. Der Aufbau einer Beziehung ist für mich essenziell. Anfangs habe ich viel gespielt, um die Kinder kennenzulernen. Nach einiger Zeit haben wir die Spiele reduziert und mehr reflektiert, aber die Atmosphäre bleibt locker. Ich gehe manchmal mit den Schüler*innen für das Coaching ins Hostel und dort entstehen oft spannende Gespräche. Zu Beginn sind wir Coaches mit den Kindern auch mal spazieren gegangen oder haben von unserem eigenen Leben und unseren Erfahrungen erzählt in der Schule oder Arbeit – das fördert die Beziehung und schafft Vertrauen.
Wie werden die Schülercoachings dokumentiert?
Für jedes Kind führen wir ein kleines Coaching-Büchlein, in dem wir Termine und Stichpunkte festhalten. Manchmal notiere ich auch persönliche Gedanken, etwa wenn ich denke: „Da sollte ich beim nächsten Mal noch nachfragen“ oder „Das möchte ich im Blick behalten.“
Ein Kind war längere Zeit sehr bedrückt, was mir Sorgen gemacht hat. Beim Durchsehen meiner Notizen wurde mir klar: Aha, das könnte mit einem bestimmten Zusammenhang zu tun haben. Inzwischen hat sich das wieder etwas gelegt – offenbar war es eine Phase, die vorübergegangen ist.
Das empfinde ich als sehr sinnvoll – einerseits, weil wir im Schulalltag ohnehin dokumentieren müssen, andererseits, weil es mir selbst viel bringt. Zum Beispiel, wenn ich sehe: „Oh, wir hatten jetzt sechs Wochen kein Coaching“, weil ein Projekt anstand, Ferien waren oder das Kind krank war. Was in dieser Zeit alles passiert ist, ist im Rückblick sehr spannend zu beobachten.
Hast Du als Lerncoach auch eine Vertrauensrolle?
Ja, ich sehe es als Ziel, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Das ist wichtig, damit die Kinder sich öffnen und auch in schwierigen Situationen zu mir kommen können. Natürlich gilt die Schweigepflicht, ausser bei ernsthaften Problemen wie Missbrauch.
Wird das Coaching im nächsten Schuljahr fortgesetzt?
Ja, auf jeden Fall. Es kommen neue Kinder dazu, und wir möchten weiter machen. Die Kapazitäten sind allerdings begrenzt, da ich nur eine Stunde pro Woche anbieten kann. Je grösser die Unico wird, umso mehr muss das System natürlich ausgebaut werden.
Fränzi, wenn Du als Kind an der Unico wärst, was würde Dir am meisten Spass machen?
Wahrscheinlich das Schauspielern. Ich war selber im Kindergarten das Dornrösli als Hauptrolle und das ist mir geblieben, das Theater spielen hat mir als Kind wahnsinnig Spass gemacht. Ich habe das Gefühl, ich wäre heute kreativer, wenn man das früher mehr aufgegriffen hätte.
Dein Wunsch für die Unico?
Mehr Platz. Für die Kinder Zeit und für den Schulalltag Platz, das braucht es. Oder das würde ich geben, wenn ich viel Geld hätte.
Vielen Dank Fränzi für das Interview und Dein Engagement gemeinsam mit den anderen Lerncoaches! (Text: Aurelia Haag / Fragestellerin: Lucy Gmelch / Bild: Schulalltag)
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